Pisonie, Paradiesnuß, Mangrovenbaumkrabbe und Co. - Willem Pisos taxonomisches Erbe
Beitrag in: PISONIA – Weitere Beiträge zur Faksimileausgabe 2008 von Willem Pisos Buch
De Indiae Utriusque Re Naturali et Medica Amsterdam 1658 S. 119-256
Inhalt
121 Einleitung
125 Eponyme, Epitheta und Ehrentaxa – Ehrung für die Ewigkeit
130 Zur Natur- und Kolonisierungsgeschichte Brasiliens
136 Die Wunderblume Pisonia
139 Über einige für die Pisonie wichtige Taxonomen und Systematiker
143 Namensgebung durch Plumier und Identifizierungsproblematik bei de Tournefort und Vaillant
151 Stand die Bleiwurz Pate für die Pisonie ?
153 Die Pisonie in den Werken Linnés und der Einfluß von Houstoun, Sloane und Miller
167 Beschreibung der Pisonie bei verschiedenen Autoren
171 Pisonien als Heil-, Nutz- und Zierpflanzen
175 Widjojo koesoemo (Pisonia sylvestris) – der heilige Baum Javas
180 Charles Darwin und die Pisonie
182 Pisonia Island vor Australien
184 Pisonia Islet in der Südsee
186 Die Artenvielfalt der Gattung Pisonia
188 Die Familie Pisoniaeceae, Unterfamilie Pisonioideae und Tribus Pisonieae
189 Die Wunderblume Pisoniella
193 Die Paradiesnuß Lecythis pisonis
203 Der Schleimapfel Annona pisonis
209 Der K ohl[rinden]baum Andira pisonis
213 Der Blätterpilz Agaricus (Coprinus) pisonianus
217 Die Grabwespen Pison, Pisonitus, Pisonoides und Parapison
227 Die Mangrovenbaumkrabbe Aratus pisonii
233 Die Grundel Eleotris pisonis
237 Weitere Pisoniae
238 Danksagung
239 Literatur
[Außerdem sind enthalten: Dorothea Elisabeth Benda: Die Nutz- und Medizinalpflanzen
Brasiliens bei Willem Piso und Georg Marggraf S. 7-118 und Eike Pies: Grundbesitz
der Familien Piso und Munter am Niederrhein und in Holland S. 257-271]
Bestellungen bitte an Familienstiftung Pies-Archiv zur Erforschung des Vorderhunsrücks
richten:
info@piesverlag.de
Einleitung (Auszug)
Die Frage, ob jemand, der sich wie Willem Piso (1611–1678) so früh und so intensiv
mit der brasilianischen Tier- und Pflanzenwelt auseinandergesetzt hat, in diesem
Zusammenhang nicht auch namentlich verewigt wurde, stellte ein äußerst spannend
zu bearbeitendes Desiderat unserer Familiengeschichte dar. Immerhin hat der wohl
berühmteste Vertreter der Familie Pies einige Arten als erster ausführlich beschrieben.
Tatsächlich veranlaßte das spätere Taxonomen dazu, mehrere Arten, ja sogar drei
Gattungen nach ihm zu benennen. Die historischen Hintergründe dieser Ehrentaxa
werden in den folgenden Kapiteln erörtert. Die Nachforschungen dazu waren einerseits
sehr aufwendig, bereiteten andererseits aber auch sehr viel Freude. Zu den
Wunderblumengattungen Pisonia und Pisoniella gesellten sich schon bald mehr und
mehr Pies’sche Pflanzen und Tiere hinzu, und zwar die Paradiesnuß Lecythis pisonis,
der Schleimapfel Annona pisonis, der Kohl[rinden]baum Andira pisonis, der Blätterpilz
Agaricus (Coprinus) pisonianus, die Grabwespen der Gattung Pison nebst Verwandtschaft,
die Mangrovenbaumkrabbe Aratus pisonii, die Grundel Eleotris pisonis, und viele
weitere Arten, die nur indirekt nach Willem Piso benannt wurden, weil Pisonien
ihre Wirtspflanzen darstellen. Sogar die Namen der kleinen australischen Insel
Pisonia Island und der zum Südseestaat Kiribati gehörenden Pisonia Islet gehen
indirekt auf Willem Piso zurück. Sie heißen so, weil sie mit dichten Pisonienwäldern
bewachsen sind. Und eine Pisonienart hat sogar als heiliger Baum Eingang in die
Mythologie Javas gefunden.
Die nach Willem Piso benannten Spezies in seinen Büchern nachzuweisen, erfordert
mitunter kriminalistische Kleinarbeit und ist ausgerechnet bei der Gattung Pisonia
besonders problematisch. Die heute international übliche binominale Nomenklatur gab
es damals noch nicht und Piso verwandte die zu seiner Zeit gebräuchlichen Namen,
d.h. die indigenen Bezeichnungen der brasilianischen Ureinwohner und die der
portugiesischen Besatzer. Einige dieser Namen gibt es heute noch, andere lassen
sich nicht mehr identifizieren. Es kam auch vor, daß Piso und Marggraf ein und
derselben Art unterschiedliche Namen gaben, wie wir am Beispiel der Paradiesnuß
sehen werden. Außerdem sind – bei aller Hochachtung für die Leistung Pisos und
Marggrafs – die Beschreibungen und Abbildungen mitunter interpretationsfähig, das
heißt, aus heutiger Sicht manchmal etwas ungenau. Manche Abbildungen sind falsch
platziert oder stellen sogar ein völlig falsches Objekt dar. Dafür können jedoch
– zumindest für die Erstausgabe von 1648 – nicht die Autoren verantwortlich gemacht
werden. Vielmehr hatte der Herausgeber Johannes de Laet (1593–1649) den Holzschneidern
offenbar nicht immer die von Albert Eckhout (um 1607-1665/1666) in Brasilien
angefertigten Originalbilder als Vorlage zur Verfügung gestellt. In manchen Fällen
wurde auf schon existierende Holzschnitte früherer Autoren zurückgegriffen, in
anderen die ausgezeichnete Qualität der Vorlagen nicht erreicht. Neben den Zeichnungen
standen auch die Pflanzen des Marggraf-Herbariums als Vorlage zur Verfügung.
Eine sprachwissenschaftliche Analyse zur Erforschung der genauen Zusammenhänge steht
noch aus. Sie könnte am ehesten helfen, die Frage zu beantworten, welchen Anteil
jeder der beiden Autoren Piso und Marggraf an dem Gesamtwerk hat.
De Laet hatte sich an den Aufzeichnungen der beiden Wissenschaftler orientiert,
das Werk aber sehr stark mitgeprägt, ohne selbst naturwissenschaftliche Fachkenntnisse
zu besitzen. Er fügte Marggrafs Beschreibungen beispielsweise mehr als einhundert
Anmerkungen hinzu, die er hauptsächlich den Büchern des Francisco Ximenes entnommen
hatte. Auch wenn beispielsweise in Marggrafs Beschreibung von Andira Ibiariba
(= Andira pisonis) darauf hingewiesen wird, daß bei Willem Piso eine Abbildung
dieses Baumes gezeigt und mehr seiner Fähigkeiten beschrieben werden, kann dies
nicht aus Marggrafs Feder stammen. Er war ja zum Zeitpunkt der Konzeption und
Drucklegung des Buches längst tot und hatte das nicht wissen können.
In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß Laet die verschlüsselten Texte
Marggrafs nur mit großer Mühe entziffern konnte. Erschwerend kam hinzu, daß dessen
Aufzeichnungen weitgehend ungeordnet waren und sich seine im Feld gemachten Notizen
verschiedener Teile einer Pflanze auf diverse Blätter verteilten. Mehr als Notizen,
sicherlich aber kein fertiges Manuskript hatte Marggraf wohl nicht hinterlassen.
Diese mußten von dem Hersaugeber noch ausformuliert werden. Möglicherweise behalf
er sich damit, Marggrafs Aufzeichnungen mit Pisos Manuskript zu vergleichen und sich
an dessen Formulierungen zu orientieren. Das würde erklären, warum bei Piso und
Marggraf ganze Passagen wörtlich übereinstimmen, wie weiter unten in den Kapiteln
„Die Paradiesnuß Lecythis pisonis“ und „Die Mangrovenbaumkrabbe Aratus pisoni“
beispielhaft erörtert wird. Piso dürfte den Inhalt der verschlüsselten Notizen
Marggrafs jedenfalls nicht gekannt haben. Die genannten Umstände trugen jedenfalls
dazu bei, daß Piso mit der Erstausgabe unzufrieden war und zehn Jahre später eine
zweite, völlig überarbeitete Fassung herausgab.
Niemand, der sich nach Piso und Marggraf mit der brasilianischen Flora und Fauna
beschäftigte, konnte ihre Arbeit ignorieren. Und tatsächlich würdigten alle bedeutenden
Systematiker und Taxonomen ihre großartige Leistung, was sich unter anderem in der
Benennung von Pflanzen und Tieren nach ihnen ausdrückt. Viele Taxonomen bemühten sich
später, beiden Wissenschaftlern in gleichem Maße gerecht zu werden. Deshalb finden
wir immer wieder Benennungen von Tieren und Pflanzen nach Piso und Marggraf unmittelbar
beieinander. Während die frühen Naturwissenschaftler wie John Ray (1627–1705),
Leonard Plukenet (1642–1706) und Carl v. Linné (1707–1778) die Arbeiten Pisos und
Marggrafs noch voneinander trennten und separat zitierten, lag den meisten späteren
Systematikern nur noch die Zweitausgabe von 1658 vor, zumal die frühere Auflage
„theilweise durch Brand zu Grunde gegangen seyn soll“.
Pisos und Marggrafs Werk übt auch heute noch eine große Faszination aus, was sich
in diversen Nachdrucken und Übersetzungen zeigt, und darin, dass ihre Arbeit immer
wieder Gegenstand der Forschung ist und sicher auch weiterhin sein wird.
Bei den nachfolgenden Betrachtungen steht die Geschichte der Namensgebung der Pies’schen
Pflanzen und Tiere im Vordergrund und nicht die Frage, welcher systematische Ansatz
zutreffender sein mag. Es handelt sich in erster Linie um einen Beitrag zur
Familiengeschichte Pies. Dabei wurde der Versuch gewagt, das Thema für familienkundlich
Interessierte verständlich aufzubereiten, ohne Naturwissenschaftler zu sehr zu
unterfordern oder gar zu langweilen.
Dr. Norbert J. Pies
Beurenhof und Lechenich 24.12.2009
Spensch kommt von Sponheim